05:35 klingelt er wieder. Das waren doch niemals fünf Minuten. Hilft Alles nichts. Mit einem Ruck schwinge ich mich aus meinem Bett hoch, eile ins Bad, pinkle, klatsche mir Wasser ins Gesicht und putze Zähne. Wieder mal keine drei Minuten. Na ja, macht nichts.
05:40 Jetzt aber dalli. Klamotten vom Vorabend anziehen. Für Frühstück bleibt keine Zeit. Tür mit einem lauten Rums hinter mir zuschlagen, damit meine Mitbewohner wenigstens im Halbschlaf mitbekommen, wie beschissen früh ich aufstehen muss. Ich renne in den Keller, schnappe mir mein Fahrrad, und verletze innerhalb der nächsten zwölf Minuten garantiert sämtliche Regeln der Straßenverkehrsordnung.
05:55 bin ich in der Klinik. Fahrrad anschließen, auf meine Station im zweiten Stock flitzen und schnell die hellblaue Stationskleidung anziehen.
06:00 treffe ich pünktlich mit einem "Guten Morgen" im Schwesternzimmer ein. Nun kann ich mich erstmal eine halbe Stunde ausruhen, denn die Nachtschicht übergibt die Patienten der Frühschicht. Das habe ich mir jetzt aber auch verdient. Ich schaue mich, noch völlig müde um die Augen, um. Die Stationsschwester, kurz Öse, weitere drei Schwestern und der Techniker. Scheiße, kein Schüler da. Das bedeutet, dass ich höchstwahrscheinlich wohl zur Morgenvisite die Pinkeltöpfe der Patienten mit dem über Nacht angestauten Urin entleeren darf. Jedoch haben die Schwestern diesmal eine andere feine Aufgabe für mich vorgesehen. Ein Patient wird heute Vormittag operiert und muss dazu premediziert werden, was für mich soviel bedeutet, wie ihm von der Brust bis zu den Knien einen Kahlschlag zu verpassen. Mit dieser Aufgabe ist plötzlich auch das kleinste Hungergefühl in mir verloren.
06:30 hole ich mir also den entsprechenden Patienten zum Rasieren in den von mir vorbereiteten Behandlungsraum, lasse ihn sich hinlegen und ziehe mir Latexhandschuhe an. Nebenbei lasse ich noch die Spüle zum desinfizieren der gebrauchten Instrumente ein, was jeden Morgen neu gemacht werden muss. Dem guten Mann versichere ich, dass ich vorsichtig sein werde, und dass, wenn ich ihn verletzen sollte und er zu stark bluten würde, ich Sitzwache an seinem Bett halten müsste, was aber gar nicht stimmt. Ich lasse ihn ein bisschen von sich erzählen, weil es ja auch für ihn eine ungewöhnliche Situation ist. Zum ablenken eben. So fertig. Nun sieht er wieder wie ein kleiner Junge aus.
06:45 Patienten betten. Die Station besitzt voll ausgelastet fünfzehn Betten. Und sie ist meistens voll ausgelastet, wobei ich die frisch operierten Patienten nicht betten brauche, weil dies die Nachtschicht mit deren Waschen schon verbindet. Bleiben zwölf. Die Bettlaken müssen akkurat liegen, die Kissen, sowie Decken gut aufgeschüttelt werden. Wenn Flecken von Körpersäften oder Sonstigem ersichtlich sind, muss das entsprechende Stück neu bezogen werden. Die Patienten variieren von Morgenmuffeln bis hin zu Spaßvögeln, die ganze Palette eben. Das Bett von dem, der zur OP geht, mache ich jetzt nicht, dass muss ich während er operiert wird nämlich komplett desinfizieren.
07:30 Frühstück vorbereiten. Vorher noch die Öse fragen, wer nüchtern bleiben muss oder als Aufbaukost nur Süppchen bekommen darf. Hm, der Patient der zur Operation geht hat Nutella drauf. Meins. Die Essentabletts sind von der Cateringfirma schon soweit bestückt, dass ich nur noch das entsprechende Brot, oder Brötchen drauflegen muss. Bleibt fairer weise meistens noch genug für das medizinische Personal übrig, also zwei bis drei belegte Brötchen für mich.
07:45 Für die Patienten ist der Zivildienstleistende mitunter der wichtigste Mann. Nämlich immer dann, wenn er das Essen austeilt. Es liegt allein in seinem Ermessensspielraum, wem er zum Beispiel außer der Reihe noch ein Brötchen, einen speziellen Aufstrich oder eine weitere Tasse Kaffee holt. Haben wir leider nicht mehr, ist dementsprechend die Antwort, wenn sie patzig sind, und noch nicht richtig begriffen haben, wie der Laden läuft.
08:00 Der Frühstress ist vorbei, jetzt heißt es das Frühstück für die Schwestern vorzubereiten. Tisch decken, Kaffee kochen, kein Ding weiter. Die Stationshilfe kommt. Sie ist auf zwei Stationen eingeteilt, jammert was für ein Stress auf der Anderen war. Dem war aber gar nicht so. Ich kenne den Schüler, der dort lernt. Sie fragt, ob noch was zu machen wäre, aber hallo, das Gröbste ist erstmal weg. Sie ist ja schließlich auch nicht neu hier.
08:15 Die Öse schickt mich auf Reise um Botengänge zu erledigen. Post und Röntgenbilder abholen und wegbringen. Patienten in die Ambulanz, zum Röntgen, zur Tomographie, zum Katheder legen/entfernen, zur Nierensteinzertrümmerung, oder auch mal zu einem TBC-Test in die Frauenklinik bringen. Wegen Neuaufnahmen oder zum Telefon anmelden in die Patientenaufnahme, oder wegen alter Akten ins Zentralarchiv. Man kommt ganz schön rum.
09:00 Nach dem frische Luft schnappen bin ich wieder auf Station und pfeife alle zum Frühstücken zusammen, was wir dann meistens auch ziemlich ausgedehnt machen. Dabei erfährt man eine Menge darüber was in der Klinik so Alles geht. Wer mit wem rummacht, und mitunter auch Dinge, für die ich verklagt werden könnte, wenn ich sie preisgeben würde. Krasse Dinge. Dinge, die mich dazu bewegen möglichst nie privat ein Krankenhaus aufzusuchen.
10:00 Die Tafel ist aufgelöst. Ich habe das Frühstück weggestellt und den Geschirrspüler angeschmissen. Nun ist es Zeit die Patiententische zu desinfizieren. Dabei muss das Ganze Zeug, was sich die Patienten mitgebracht haben, runtergenommen werden, was manchmal echt massig ist. Es ist aber auch die beste Zeit mit den Patienten zu kommunizieren. Wer sie sind, woher sie kommen, was sie so Alles erlebt haben. Ist manchmal richtig interessant.
11:00 Schnell den Mittagessenwagen anschmeißen, weil er die Essen in seinem Inneren anheizt. Meines ist auch drin, doch obwohl ich aus zwei Essen wählen kann, ist es meistens nur irgendwelcher Fraß. Jetzt noch schnell das Bett des OP-Patienten komplett desinfizieren, bevor dieser wiederkommt. Wenn er wiederkommt.
11:30 Mittagessen austeilen. Vorher wie gewohnt noch die Öse fragen wer, wer nicht, was, wieviel. Und wieder einmal bin ich der wichtigste Mann auf Station.
12:00 Ich genieße mein Mittagessen ausgiebig, was dieses Mal überraschenderweise mal gar nicht so mies schmeckt. Das Ekligste überhaupt ist allerdings, wenn während meines Essens Jemanden einfällt sein Geschäft im Bett auf der Pfanne zu erledigen, und deswegen verständlicherweise klingelt, um sie austauschen und sich den Hintern abwischen zu lassen. Dann ist der ganze Appetit hin. Nach meinem Essen hole ich die Tabletts wieder aus den Patientenzimmern heraus. Wer bis dahin nicht fertig ist, hat halt Pech.
12:30 Ich renne wieder durchs Haus umher und erledige Botengänge. Manchmal darf ich auch zugucken, wenn irgendwo etwas gemacht wird, womöglich weil sie mich für einen Schüler halten. Aber mit der Zeit ist es auch nicht mehr wirklich interessant, weil sich zuviel Routine rein schleicht. Bei einer Transplantation hätte ich auch mal zuschauen dürfen, den Kick wollte ich mir allerdings nicht freiwillig geben.
13:00 Nun sollte mal die Desinfektionsspüle geleert werden, die sich im Laufe des Tages mit Instrumenten angehäuft hat. Man nimmt dazu das Besteck dazu aus dem Becken, trocknet es sorgfältig ab, tütet es dann ein und packt es noch in die Steril-Kiste, damit es woanders richtig steril gemacht werden kann. Wie steril ist es allerdings, wenn ich zwischen Schritt zwei und drei unverhofft mal niesen muss?
13:15 helfe ich dem Spätdienst, indem ich das Abendessen schon mal komplett vorbereite und bestücke. Dabei fällt natürlich auch wieder reichlich für mich ab. Innerhalb meines Zivildienstes habe ich so ganze fünf Kilo zugelegt. Hätte ich um ein Haar vergessen, der Geschirrspüler muss ja noch geleert werden.
13:30 Der Spätdienst ist eingetroffen und der Frühdienst übergibt sich, das heißt die Patienten. Ich sitze entspannt daneben, tue so, als würde ich dem ganzen Geschehen lauschen und es eventuell mit klugen Sprüchen bereichern, träume allerdings nur vom Feierabend.
14:00 läuft meistens die letzte Amtshandlung sowie die Apotheke eintrifft. Die im Metro-Stil bestellten Medikamente, Instrumente und Pflegemittel werden von allen Stationsangestellten kameradschaftlich weggepackt, denn umso eher man Alles erledigt hat, umso eher entlässt die Öse die Belegschaft in die wohlverdiente Freiheit.
14:30 Dienstende. Jetzt noch schnell umziehen, aufs Fahrrad schwingen,
und nichts wie raus aus dem ganzen Scheiß. Und möglichst nicht mehr
an diesen stumpfsinnigen sich endlos wiederholenden Mist denken. Am besten nie
wieder... bis morgen Früh.